Am 21. März ist der Welt-Down-Syndrom-Tag. In diesem Jahr steht er unter dem Motto #Inclusionmeans, „Inklusion bedeutet“. Janine Hippel, eine junge Frau mit Trisomie 21, und ihre Mutter erzählen, wie sie Inklusion schaffen und erleben.
Downsyndrom: genetische Besonderheit
Janine ist eine hübsche, kontaktfreudige, sehr musikalische und manchmal etwas sture Frau. Sie lebt zusammen mit ihren Eltern Yvonne und Lothar Hippel und aktuell auch wieder mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Maurizio in Eichelsachsen. Janine wurde mit der genetischen Besonderheit geboren: Die Zellen von Menschen mit Down-Syndrom weisen das Chromosom 21 ganz oder in Teilen dreimal auf. Diese Anomalie ist verbunden mit einer Verzögerung des körperlichen Wachstums und der geistigen Entwicklung – in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke.
Frühförderung war wichtig
Janine Hippel ist gesund und hat sich altersgemäß entwickelt. Ihre Eltern haben schon früh mit Therapien begonnen, die Janines Entwicklung unterstützt haben. „Sie hat zum Beispiel durch Logopädie ihre Zungen- und Gesichtsmuskulatur gut trainiert, sodass sie nicht – wie oft bei Menschen mit Down-Syndrom üblich – andauernd die Zunge heraushängen lässt“, erklärt Yvonne Hippel. Im Alter von 6 Jahren wurde Janine am Herzen operiert, Löcher wurden mit einem Katheder verschlossen. Sie hat eine Grundschule besucht und dort sehr viel gelernt. Zum Beispiel kann sie so gut lesen, dass sie an Lesewettbewerben teilgenommen hat.
Oft Berührungsängste
Man sieht Janine ihre Behinderung an. Sie zeigt die charakteristischen Gesichtsmerkmale des Down-Syndroms. Das führt immer wieder zu Berührungsängsten bei Personen, die Janine nicht kennen. „Die Leute wissen einfach nicht, wie sie mit ihr sprechen und umgehen sollen“, sagt Mama Yvonne. Oft seien sie dann sehr erstaunt, dass man mit Janine umgehen kann, wie mit jedem anderen Menschen auch, und dass man sich ganz normal mit ihr unterhalten kann. „Janine hat früh sprechen gelernt und kann sich sehr gut ausdrücken“, so die Mutter.
Inklusion auf der Bühne
Und Janine beweist das direkt, in dem sie von ihrem liebsten Hobby erzählt: dem Theaterspielen. Sie ist Teil der bekannten Theatergruppe Mühlengeister in Merkenfritz. Sie hat mit dem Ensemble schon mehrfach auf der Bühne gestanden. Ihre Texte lernt sie meist schneller auswendig als ihre Theaterkollegen. Es fehlt ihr sehr, dass sie aufgrund der Corona-Pandemie schon seit zwei Jahren nicht mehr auf der Bühne stehen kann. Sie vermisst es, ein Teil der Theatergruppe zu sein, regelmäßig zu den Proben zu gehen und zusammen mit den anderen Theaterspielern den Zuschauern zuletzt einen vergnüglichen Abend zu bieten. In der Theatergruppe ist sie angekommen. Das ist ihre Welt, hier ist sie voll integriert. „Ich will bald wieder mitspielen und auf der Bühne stehen. Hoffentlich geht das bald wieder“, wünscht Janine sich. Neben dem Theaterspielen hat sie eine weitere Leidenschaft: Sie spielt Schlagzeug. In der Musikschule in Gedern kann sie sich dabei so richtig auspowern. Gleichzeitig trainiert sie dabei Geschicklichkeit und Koordination. Sie schwingt die Drumsticks und freut sich: „Ich mag den Rhythmus!“
Freunde an der Arbeit
Rhythmus, Gleichförmigkeit, Struktur: Das sind Dinge, die Janine den Alltag mit ihrer Behinderung erleichtern. Sie verlässt ungern ihre Komfortzone – außer sie steht auf der Bühne. „Wenn etwas von ihr gefordert wird, was ihr zu anstrengend ist oder das sie nicht will, kann sie sehr stur sein“, weiß Yvonne Hippel. Deshalb ist sie in den Hirzenhainer Werkstätten der Behindertenhilfe Wetteraukreis (bhw) gut aufgehoben. Hier fühlt sie sich wohl. „Ich mag meine Gruppe, hier habe ich viele Freunde“, sagt Janine. Sie hat sich auf dem ersten Arbeitsmarkt versucht, hat ein Praktikum in einer Wäscherei gemacht. Aber sie kam mit dem Druck nicht klar. „In Unternehmen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist alles schnelllebig. Wer da arbeitet, muss seinen Job selbstständig und in einer bestimmten Zeit erledigen. Das kann Janine nicht. Sie braucht Anleitung“, erklärt die Mutter.
Inklusion: Individualität akzeptieren
In Janines Gruppe in den Hirzenhainer Werkstätten gibt es einen solchen Druck nicht. Sie arbeitet in der Montage. Die Arbeiten wechseln regelmäßig, sodass es nicht langweilig wird. Aktuell werden beispielsweise Papiertüten in einer bestimmten Anzahl gebündelt. Der Gruppenleiter leitet die Mitarbeiter geduldig an. Jeder kann in seinem eigenen Tempo arbeiten und wird ganz individuell unterstützt. In der Werkstatt muss keiner um seinen Platz kämpfen und jeder wird so akzeptiert, wie er ist. Über die aktuelle öffentliche Diskussion zur Sinnhaftigkeit von Werkstätten für Menschen mit Behinderung schüttelt Yvonne Hippel nur den Kopf: „Man kann Inklusion doch nicht darauf reduzieren, dass alle Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Viele Mitarbeiter in den Werkstätten schaffen das nicht. Sie brauchen die individuelle Förderung, die Struktur, den Halt. Die Werkstätten schaffen den Rahmen dafür. Die Mitarbeiter hier leisten eine wertvolle Arbeit, werden angeleitet und gefördert und lernen, selbstständiger zu sein, ohne überfordert zu werden.“ Überhaupt wünscht sich Yvonne Hippel, dass Individualität mehr Akzeptanz erfährt. Inklusion bedeutet für sie, dass jeder Mensch einfach so genommen wird wie er ist und dass „komische Blicke“ in einer inklusiven Welt der Vergangenheit angehören.